Eine Replik auf Othmar Pruckners Standard Kommentar der Anderen. Sein Text ist nachzulesen unter: http://derstandard.at/?id=2258145
Sind die Grünen alt geworden?
Othmar Pruckner fragte vor einigen Tagen an dieser Stelle [im Standard vom 28.11.05], ob die Grünen noch zu retten wären. Wir – junge Grüne – beantworten die Frage mit einem deutlichen „Ja.“ und einem noch deutlicheren „Aber...!“ In ihrer Entstehungszeit verkörperten die Grünen das Moderne, den Aufbruch, neue Perspektiven und Wege. Grün stand für Veränderung und Visionen. Die Grünen waren der politische Ausdruck der erwachsen gewordenen 68er Generation, die politische Speerspitze vieler Bewegungen dieser Zeit. Wir haben einige Anliegen dieser Bewegungen auch faktisch in das verkrustete österreichische Polit-System einbringen können und so als kleine Partei viel erreicht. Wir waren am Puls der Zeit! Und heute? Sind die Grünen heute noch am Puls? Können wir mit unserem kollektiven Wissen aktuelle Entwicklungen noch erspüren? Wissen wir noch, was die BürgerInnen bewegt? Was die Communities benötigen? Wie junge Menschen leben? Wir meinen, die Grünen laufen Gefahr den Draht zu den Jungen zu verlieren. Längst brauchen uns die neuen politischen Bewegungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Politik wird in Österreich von einer Generation gemacht: im Durchschnitt 49,4 Jahre alt, also in den 50er Jahren geboren, sind sie die Elite, die unser Land regiert. Und bei den Grünen ist es nicht anders. Auch wenn der Alterdurchschnitt unserer Landtagsabgeordnete bei verglichen jugendlichen 46 Jahren liegt. Zu viele unserer ehemals frischen und dynamischen Polit-Ikonen sind in die Jahre gekommen und ergraut, und es liegt in der Natur der Sache, dass ihr Blickwinkel nun der Blick eben ihrer eigenen Generation ist. Wundert es uns angesichts fehlender Repräsentation junger Menschen und Lebenswelten, dass die Grünen unter den Jungen bei den Wahlen mittlerweile messbar abbauen statt zuzulegen? Und woher kommt es nur - das Desinteresse an Politik im allgemeinen, das in den letzten Jahren heftig beklagt wurde? Die ganze politische Klasse ist darüber empört. Beklagt das Ende der guten alten Zeiten und schiebt den politischen Konkurrenten oder Über-Inszenierung die Schuld in die Schuh. Und weiß ganz tief in ihrem Herzen, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Dass die zunehmende Kluft zwischen der Politik und ihren "Subjekten" viel mehr mit dem Realitätsverlust der politischen Eliten zu tun hat und ihrer Politik für eine Welt, die es nicht mehr gibt. Ja. Auch die Elite der Grünen haben die sozialen und kulturellen Realitäten des 21. Jahrhunderts noch nicht so recht verinnerlicht. Wir fragen uns: welche Nationalratsabgeordnete kennen Gustav, Chicks on Speed oder Two Step? Oder wissen, was Sie mit City of Heroes (www.cityofheroes.com), Halo2 und den Sims machen würden? Oder haben schon mal selber in Wikipedia (http://de.wikipedia.org) nachgesehen? Wir glauben: leider viel zu wenige. Das liegt wohl daran, dass es sich bei diesen Dingen um Musik, Computergames und die kollektiv verfasste Online-Variante des guten alten Brockhaus handelt. Also sozialen Praxen einer jungen Generation, die viel mit einer sich verändernden Gesellschaft zu tun haben, die aber in unserer Gesellschaft kaum politische Repräsentation finden. Können wir es der Politik übel nehmen, dass sie nichts mehr mitkriegt von der neuen Welt und ihren Wirklichkeiten? Von den neuen Generationen, deren Welten so stark fragmentiert sind, dass selbst Hollywood sie nur mehr schlecht als recht zusammenhalten kann? Die in Familienstrukturen leben, in denen man auch ohne Sex zu Kindern kommt, und wo es zwei Papas und keine Mama gibt? Von einer Welt, in der Menschen im Durchschnitt alle zwei Jahre ihren Job wechseln, wo Herkunftsort und Lebensmittelpunkt nur noch in den seltensten Fällen eins sind? Einer Gesellschaft, die voller Risiko ist (am meisten für Frauen und AlleinerzieherInnen), und einst sicher geglaubte Jobs in der Fabrik nach der Reihe verloren gehen? Und als sichtbares Zeichen der Perspektivlosigkeit vieler, 70.000 junge Menschen arbeitslos sind und keine Chance auf einen Start in unsere Gesellschaft bekommen? Ja, wir können. Wir können es ihnen übel nehmen, dass die Eliten unseres Landes Politik von vorgestern machen. Denn diese Welten liegen vor ihrer Haustür, in Österreich. Aber, und das ist unser großes „Aber“. Wir wissen auch: die einzigen die überhaupt noch flexibel genug im Kopf sind, um diese neuen Welten wahrzunehmen, das sind immer noch die Grünen. Wenn – ja – wenn sie es schaffen, erstens das Generationenproblem in den Griff zu kriegen und zweitens den Blick für das 21. Jahrhundert zu schärfen. Zum Beispiel in dem wir sinnvolle Betätigungsmöglichkeiten auch in der zweiten Reihe für die ehrenwerten älteren Damen und Herren der sogenannten „Gründergeneration“ zu schaffen und damit Möglichkeiten der Mitgestaltung auch für Jüngere schaffen. Wie geht das? Wohl nur mit einem Kulturwandel, der nicht ganz einfach ist. Ein paar Menschen müssen wohl oder übel in die zweite Reihe zurücktreten. Junge in der Partei müssen konkret gefördert und unterstützt werden. Wir trauen diese Innovations- und Erneuerungskraft den Grünen zu, beweisen müssen sie's aber erst. Damit die Grünen nicht alt und grau werden, braucht es aber noch mehr als personelle Angebote. Nämlich Antworten auf die neuen Fragen. Schaffen die Grünen das? Wir meinen ja: Grundsicherungsmodelle, die uns Abfedern und zum Weiterlernen motivieren und auch den sozial Schwächeren gesellschaftliche Teilnahme erlauben, sind ein Teil der Antwort und schon da. Über Arbeitszeit- und Öffnungszeitmodelle, die Ausbeutung verhindern, aber unser flexibilisiertes Leben ermöglichen, müssen wir noch nachdenken. Politik, die Vielfalt nicht als exotische Blume betrachtet, sondern als Überlebensnotwendigkeit selbstverständlich in den Alltag integriert, ist doch Kern der Grünen Kultur. Eine Forschungs- und Entwicklungsstrategie, die danach trachtet das Neue zu vernetzen, statt monolithische Disziplinen zu fördern, die eindimensionale Profite versprechen, vertreten wir schon lange. Vielleicht bald noch lauter. Für ein Bildungssystem, dass Multilingualität nicht als Bedrohung erlebt, sondern aus achtzig Prozent nicht-deutschsprachigen Volksschulkindern eine Chance macht, stehen nur die Grünen. Und, dass endlich genug LehrerInnen angestellt werden, damit aus den Kindern selbstbestimmte, kritische junge Menschen werden, die später die Lebensrealitäten der nächsten Generation nicht auch übersehen, das können wir uns alle nur von Herzen wünschen und politisch fordern. Also: wir meinen, die Grünen sind erstens zu retten (dann, wenn sie Erneuerungsschritte setzen) und zweitens, glauben wir fest daran. Schliesslich stirbt die Hoffnung zuletzt. Marie Ringler, 30, Landtagsabgeordnete in Wien und Thomas Waitz, 32 Jahre, Stv. Obmann der Grünen Bäuerinnen und Bauern Österreich und Funktionär der Grünen in der Steiermark, initiierten vor einigen Monaten die Plattform Junge Grüne. Ein loses Netzwerk junger Menschen bei den Grünen, die die Grünen gemeinsam verändern wollen. Mit einem Fokus auf junge Lebenswelten und dem Angebot unser Wissen allen Grünen zur Verfügung zu stellen. Und dem Ziel mehr jungen Menschen bei den Grünen den Einstieg in die politische Arbeit zu erleichtern. |